Sandra W.* (53) lebt seit Jahren in Australien. Diesen Frühling ist sie vorläufig in ihre Herkunftsstadt Bern zurückgekehrt, um die Betreuung ihrer demenzerkrankten Mutter Ruth W. zu übernehmen und ihr näher zu sein. Und auch, um den Bruder zu entlasten, der zuvor neben seiner Berufstätigkeit zur Mutter geschaut hatte. Die Tochter ist bei der Mutter eingezogen. Die 77-jährige Ruth W. lebte bis dahin selbstständig, unterstützt durch die Spitex. Allein zu wohnen, bereitete ihr aber zunehmend Probleme. 

Bei Ruth W.* wurde vor vier Jahren Alzheimer diagnostiziert. Die Diagnose war für die Angehörigen eine Erleichterung. Endlich gab es eine Erklärung, warum die Mutter sich so verändert hatte. Für die Mutter selber war die Diagnose schwer zu verkraften. «Sie sagt bis heute, sie könne die Krankheit nicht akzeptieren», weiss die Tochter. Aus Angst, dass ihr Fehler unterlaufen, zog die Mutter sich sozial zurück. Vorher war sie aktiv, reiste als GA-Inhaberin mit dem Zug herum, traf Leute im Quartier-Restaurant zum Kaffee. Vor der Pensionierung hatte Ruth W. selber in einem Café gearbeitet.
 

Eindrucksflut vermeiden

Zug und Bus kann sie heute nicht mehr selbstständig benutzen, die Treffen im Restaurant haben mit der Pandemie aufgehört. Die Tochter bedauert dies, denn sie hätten der Mutter viel bedeutet, besonders nachdem sie den anderen von der Demenzerkrankung erzählt hatte. Dadurch sei gelegentliches Befremden über Verhaltensweisen einem Verständnis gewichen. «Jetzt gehen halt wir beide zusammen ins Café», sagt die Tochter. Sonntags stossen ihr Bruder und ihr Vater – Ex-Mann der Mutter – zu den beiden. Dann wird spaziert, Pizza gegessen, Fussball geschaut. Sandra W. besucht mit ihrer Mutter etwa auch eine Ausstellung, jüngst organisierte sie eine Geburtstagsfeier.

«Es ist schön, sie einzubeziehen», sagt die Tochter. Sie achtet zugleich darauf, dass es der Mutter nicht zu viel wird, an Leuten, Stimmen, Eindrücken. Denn das führe zu Stress. Drei Tage pro Woche verbringt Ruth W. im Tageszentrum einer Demenz-Pflegeinstitution, zweimal pro Monat besucht sie den «Freiraum», ein Freizeitangebot für Menschen mit Demenz von Alzheimer Bern. Die Tochter nutzt diese Zeit, um ihre Batterien aufzuladen. Sie unternimmt etwas oder trifft alte Freundinnen. Hilfreich seien für sie auch die Gespräche mit dem Bruder und dem Vater, sagt sie. 
 

Information als Voraussetzung

Das Konzept der Inklusion kennt Sandra W. von ihrer Tätigkeit als Hilfslehrerin in Australien. Für Menschen mit Demenz sei Inklusion aufgrund der kognitiven Einbussen schwerer zu erreichen als etwa für Menschen im Rollstuhl, findet sie. Am ehesten funktioniere es im Quartier. Im Laden, in dem man um die Demenz der Mutter wusste und ihr behilflich war. Oder auf  vertrauten Spaziergängen, die sie bis heute allein unternimmt. Da trifft sie Bekannte an, die ihr wenn nötig helfen. Die Informiertheit des Umfelds sei eine Voraussetzung für Inklusion, sagt Sandra W.: «Dann können die Leute das Verhalten einordnen und gehen anders mit ihr um.» Ein kleiner Ausflug stärke das Selbstbewusstsein. Das sei bei ihrer Mutter sehr wichtig.

 

*Name der Redaktion bekannt.