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Die Hände meines Vaters

September 2019

Die letzten Sonnenstrahlen fielen durch das dichte, grüne Blattwerk der alten Bäume. Bald würde sich der Sommer verabschieden. Umso mehr genoss ich einen der letzten warmen Septemberabende. Auch mein Vater, der neben mir auf der Parkbank sass, schien sich wohlzufühlen. Seine Augen waren halb geschlossen, er schien in Gedanken versunken. Ich hatte seine linke Hand in meine genommen, und drückte sie sanft. Wir boten zweifellos ein harmonisches Bild. 

Ich hatte die Hände meines Vaters immer geliebt. Sie waren gross und kräftig, gleichzeitig aber auch weich und warm. Als Kind waren sie für mich ein Garant für Sicherheit und Geborgenheit. Nichts konnte passieren, wenn mich mein Papa fest an der Hand hielt, egal, ob er mich auf dem Schulweg begleitete, mir beim nächtlichen Spaziergang in den Bergen die Sternbilder erklärte oder auf der Chilbi mit mir Geisterbahn fuhr. Das änderte sich erst, als ich zum Teenager wurde. Dann bestand ich auf Abstand, alles andere wäre mir peinlich gewesen. Und so waren der seltene spielerische Klaps oder das etwas hilflose Schultertätscheln die Höhepunkte liebevoller väterlicher Gefühle.

Es war kühl geworden. «Papa, es ist Zeit heimzugehen», sagte ich. Er schien wie aus einer Trance aufzuwachen und schaute mich liebevoll an. Als ich aber aufstehen wollte, traf mich plötzlich ein kräftiger Schlag am Oberarm. Mein Vater hatte wieder einmal ausgeholt. Immer, wenn ein solch aggressiver Ausbruch passierte, schossen mir die Tränen in die Augen. Nicht weil es mir besonders wehtat, ich konnte diesen so plötzlichen Wesenswandel meines sonst so sanften Vaters einfach immer noch nicht fassen.

Doch auch dieses Mal dauerte es nur Sekunden, bis er zu realisieren schien, was er getan hatte. Ich sah das Entsetzen in seinen Augen, das dem entschuldigenden Blick eines kleinen Buben wich. Natürlich wusste ich rein intellektuell, dass diese starken Gefühlsschwankungen eine «normale» Reaktion eines an Demenz erkrankten Menschen sein konnten. Aber in der Realität damit umzugehen, war etwas anderes. Ich liess mir nichts anmerken, und auch er schien das Ganze glücklicherweise sofort wieder vergessen zu haben.

Mein Vater war Anfang 80, als wir merkten, dass sich er sich veränderte. Zu Beginn hatten wir noch Witzchen darüber gemacht, wenn er die Milch statt in den Kühlschrank in den Schuhschrank stellte. Er war ja schon immer der Typ «zerstreuter Professor» gewesen. Und er war auch immer noch ein sehr gut aussehender Mann. Erst als ich ihn an einem verschneiten Januartag am Bahnhof in Zürich abholte – wir wollten zusammen mittagessen gehen – und entdeckte, dass er mit seinen Hausschlappen aus dem Zug stieg, war die Zeit der Spässchen schlagartig vorbei. 

Die Demenz schritt so schnell voran, dass meine Mutter schon nach kurzer Zeit keine Kraft mehr hatte, ihn daheim zu pflegen. So suchten und fanden wir ein privates Pflegeheim für ihn. 

Eine Stunde nach dem «Zwischenfall» auf der Parkbank lag mein Papa im Bett seines neuen Daheims. Ich hatte ihn mit einer leichten Decke zugedeckt, das kleine Nachtlicht brannte.Als ich ihm zum Abschied einen Kuss auf die Stirne drückte, nahm er meine Hand, drückte sie und sagte: «Danke mein Schatz.» Als ich an diesem Abend nach Hause fuhr, erinnerte ich mich nicht mehr an den schmerzlichen Vorfall im Park, sondern an seine grossen, weichen Hände, die mir immer so viel Sicherheit und Geborgenheit vermittelt hatten. 

Und dieses Gefühl ist geblieben, jedes Mal, wenn ich an meinen inzwischen verstorbenen Vater denke.

 

Silvia Aeschbach

Silvia Aeschbach ist Journalistin, Autorin und Bloggerin. Sie schreibt u.a. für tagesanzeiger.ch und die SonntagsZeitung. Zudem veröffentlicht sie in der Coopzeitung wöchentlich ihre beliebte Kolumne. Sie hat vier Bestseller geschrieben. Der letzte, «Glück ist deine Entscheidung» erschien im Frühling 2019. Silvia Aeschbach lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Hunden in Zürich.

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Kommentare
  • Sylvie Monnat

    05.10.2019
    Ein wunderbarer, einfühlsamer Text, der die auch von meinem Partner mit seiner Mutter erlebte Realität reflektiert.
    Gefällt mir [1] Antworten
  • Gerd Walter

    01.12.2020
    Herzlichen Dank für diese wunderbare Geschichte. Wir freuen uns auf weitere
    Familie Walter aus Greifswald( Deutschland )
    Gefällt mir [1] Antworten
  • Elisabeth

    01.12.2020
    Ja zu der Alzheimer! Annehmen was im hier und jetzt geschieht.
    Und jeden Tag geniessen
    Gefällt mir [1] Antworten
  • Bettina Hackel

    01.12.2020
    Mit meinem Ehemann Alex lebte ich 10 Jahre in Florida, 7 davon mit Dr. Alzheimer als unerwünschtem Gast. Ich habe Alex zuhause betreut, bis er Pflegeheim-, Spital- und Hospiz-Betreuung brauchte. Wir hatten uns erst spät im Leben gefunden. Als Alex in Florida die Diagnose auf "Alzheimer's, mit etwas Parkinson beigemischt", erhielt, war er 72, ich war 19 Jahre jünger. Alex war grossgewachsen, hatte breite Schultern und so kräftige Oberarme, dass sogar der Schweizer Tropenarzt staunte, als er uns für einen Trip nach Zentral-Amerika impfte. Daraus wurde dann nichts, aber ich erinnere mich, wie gut es sich anfühlte, mit diesem Mann an meiner Seite auch spät abends unbesorgt in Bern herumzulaufen. In Florida schwammen wir jeden Tag im Pool um die Wette. Plötzlich stieg Alex nur noch auf der Treppe in den Pool und blieb dann stehen. Er schwamm nicht mehr. Er schnappte sich vorbeitreibende kleine Pool-Spielsachen unseres kleinen Hundes und warf sie nach mir. Sein Gesichtsausdruck dabei war aggressiv, nie zuvor hatte er mich in irgendeiner Weise attackiert. Ich fand das zum Fürchten. Kurz nach der Diagnose sass er in unserem Haus in seinem Lese-Sessel neben mir und bemerkte entschuldigend: "Du wollltest keine Kinder haben - und jetzt hast du mich!" "Du bist kein Kind!" versicherte ich ihm überzeugt. Tatsächlich hat Alex mich durch all die Jahre unterstützt, wo er nur konnte. Sofort überliess er mir sein Auto ("Du bist aus der Schweiz, du musst hier üben!") , unterschrieb eine Generalvollmacht für mich, machte mir Komplimente über meine Kochkünste .... und entwickelte eine unerschütterliche Geduld, Gelassenheit, Heiterkeit, mit der er mir über meine Aengste und Frustrationen hinweg half. Nach unserem Umzug aus der Stadt im Süden in eine beschauliche Kleinstadt in Central Florida erhielten wir auch überall freundliche Unterstützung von hilfsbereiten, informierten, engagierten Profis, Nachbarn und "everyday people". Man kannte und mochte uns, das war eine enorme Erleichterung. In meiner Erinnerung möchte ich keinen Tag meines Lebens mit Alex missen.
    Gefällt mir [0] Antworten
    • Alzheimer Schweiz

      02.12.2020
      Liebe Frau Hackel,
      herzlichen Dank, dass Sie Ihre berührenden Erinnerungen an Alex mit uns teilen. Es ist eine sehr grosse Herausforderung, mit allen Aspekten einer Demenzerkrankung als liebende Partnerin umgehen zu lernen. Vor allem mit einer starken Persönlichkeitsveränderung. Es ist schön zu lesen, wie gross die Unterstützung - sowohl von Alex - so gut als möglich - für Sie, als auch von Ihrer Umgebung für Sie beide war. Behalten Sie sich Ihre guten Erinnerungen - wir wünschen Ihnen alles Gute.
      Gefällt mir [0] Antworten

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