Am 26.2.22 erschien in mehreren Schweizer Zeitungen ein Interview von Silvia Aeschbach mit Karine Begey, stellvertretende Direktorin von Alzheimer Schweiz. Hier der Inhalt des Interviews:
 

Alzheimer und Demenz werden oft in einem Atemzug genannt. Wie unterscheiden sich diese Erkrankungen?

Demenz umfasst bestimmte Symptome, die als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden zugrunde liegenden Krankheit des Gehirns auftreten. Sie ist also der Oberbegriff für verschiedene Erkrankungen mit Störungen diverser Funktionen. Die Alzheimerkrankheit ist die häufigste Demenzform und betrifft circa 60 Prozent aller Personen mit einer Demenz.

Welche Anzeichen können einen ersten Hinweis auf eine Erkrankung geben?

Beispielsweise die Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses. So können neue Informationen wie Namen, Daten, Geschehnisse nicht mehr hundertprozentig aufgenommen werden. Zum Beispiel stellt jemand die gleiche Frage mehrmals, obwohl sie zuvor schon beantwortet wurde. Termine und Abmachungen gehen zunehmend vergessen. Die Person vergisst auch wichtige Ereignisse wie beispielsweise die Heirat des Enkels. Manchmal fällt es den Betroffenen auch schwer, einem Gespräch zu folgen. Auch was die zeitliche Orientierung betrifft, etwa die Uhrzeit oder die Wochentage, kann Verwirrtheit auftreten.

Wie zeigt sich eine beginnende Demenz beispielsweise im häuslichen Bereich?

Es ergeben sich Schwierigkeiten mit vertrauten, alltäglichen Abläufen und der Planung: Eingespielte Handlungen wie Einkaufen, Rechnungen bezahlen, die Kaffeemaschine oder eine neue Fernbedienung bereiten plötzlich Schwierigkeiten. Es kann vorkommen, dass jemand vergisst, die Kleider zu wechseln, oder man weiss nicht mehr, ob man bereits gegessen hat oder nicht.

Gibt es ähnliche Anzeichen, wie die von Ihnen erwähnten, die allerdings nicht auf eine Demenz hinweisen, sondern die Folge des «natürlichen» Alterungsprozesses sind?

Eine Verschlechterung der Hirnleistung kann auch durch einen Vitaminmangel, eine Stoffwechselerkrankung, Übermüdung oder Stresssituationen ausgelöst werden. Auch psychische Erkrankungen, eine Depression oder Medikamentennebenwirkungen können ähnliche Symptome wie bei einer Demenzerkrankung verursachen. Auch beim Älterwerden nehmen unsere körperlichen und geistigen Fähigkeiten und gewisse Gedächtnisfunktionen in der Regel ab. Die geistige Leistungsfähigkeit muss jedoch nicht zwangsläufig mit den Lebensjahren nachlassen.

Kann ich bei mir selber den Unterschied zwischen einem «natürlichen» und einem krank machenden geistigen Abbau erkennen?

Meist sind es die Angehörigen, die erste Veränderungen beobachten. Eine Demenzdiagnose kann jedoch nur durch eine Ärztin oder einen Arzt, eine Neurologin oder in einer spezialisierten Memoryklinik erfolgen. Eine entsprechende Abklärung kann unter anderem körperliche und neurologische Untersuchungen, Blut- und Urinanalysen oder eine Magnetresonanztomografie beinhalten. Zudem ist während und nach der Diagnose stets eine professionelle Begleitung und Beratung der Person erforderlich, welche abgeklärt wird, als auch ihres engsten Umfeldes.

Gibt es alters- oder geschlechtsspezifische Daten, die zeigen, wer besonders von einer Erkrankung betroffen ist – und zu welchem Zeitpunkt?

Das Alter ist nach wie vor der grösste Risikofaktor für eine Demenzerkrankung. Zudem sind Frauen häufiger betroffen als Männer, 66 Prozent der Personen mit einer Demenz sind Frauen (hier finden Sie noch mehr Zahlen und Fakten). Die höhere Lebenserwartung der Frauen allein erklärt nicht, warum mehr Frauen als Männer von Demenz betroffen sind: 45 Prozent aller Frauen über 90 Jahre sind an Alzheimer oder an einer anderen Demenzform erkrankt, während bei den Männern in der gleichen Altersgruppe 30 Prozent mit einer Demenz leben. Warum es diesen Unterschied gibt, ist noch nicht ausreichend geklärt. 

Kann durch eine spezifische Ernährung, regelmässige Bewegung und einen gesunden Lebensstil eine allfällige Demenzerkrankung verzögert werden?

Gemäss neuesten Erkenntnissen könnten rund 40 Prozent aller Demenzerkrankungen verhindert oder verzögert werden. Wer etwas gegen seinen hohen Blutdruck unternimmt, nicht raucht, körperlich aktiv bleibt sowie nicht exzessiv Alkohol trinkt, verringert das Risiko, an einer Demenz zu erkranken. Neuerdings verdichten sich die Hinweise, dass etwa starkes Übergewicht und Diabetes das Risiko einer Demenzerkrankung erhöhen.

Forschende gehen heute davon aus, dass sich die Umstellung auf eine herz- und gefässschonende Ernährung auch positiv auf unser Gehirn auswirkt.

Geistig aktive Menschen können ihre kognitiven Reserven besser erhalten und dadurch gewisse Abbauprozesse im Gehirn verlangsamen. Regelmässige Bewegung fördert einerseits die Durchblutung des Gehirns und regt es dazu an, neue Zellen und Vernetzungen zu bilden. Andererseits schützt sie vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und damit auch vor einem erhöhten Demenzrisiko. Deshalb empfiehlt auch die WHO regelmässige körperliche Aktivität.

Wie gefährdet bin ich, wenn ein Elternteil an Alzheimer erkrankt ist?

Es gibt eine äusserst seltene Form von Alzheimerkrankheit, die erblich ist. Wenn ein Elternteil von dieser genetisch bedingten Form von Alzheimer betroffen ist, besteht eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder ebenfalls erkranken.

Wo steht die Forschung heute in Bezug auf Demenz und Alzheimererkrankungen?

Über 100 verschiedene Wirkstoffe werden aktuell in klinischen Studien erforscht. Da jedoch noch nicht alle Ursachen und Krankheitsmechanismen der Alzheimerkrankheit vollständig verstanden werden, gestaltet sich die Entwicklung eines Medikamentes zur Heilung als sehr anspruchsvoll. Bis heute ist es noch nicht möglich, eine Alzheimererkrankung aufzuhalten oder zu heilen. Sogenannte Antidementiva können bei manchen Personen jedoch die Symptome der Erkrankung lindern und die Lebensqualität erhöhen.

Wird es eines Tages möglich sein, Alzheimer und Demenz zu heilen?

Aktuell werden noch nicht alle Krankheitsmechanismen einer Alzheimer-Erkrankung verstanden. Daher sind viele weitere Studien notwendig, um ihre Ursachen zu verstehen und ein wirksames Medikament für die Heilung einer Erkrankung entwickeln zu können. Verschiedene Studien im fortgeschrittenen Stadium werden zurzeit durchgeführt und hoffentlich wird man dadurch wichtige Erkenntnisse für die Heilung gewinnen können.