Eine Demenz bedeutet eine grosse Zäsur und stellt Betroffene vor existenzielle Fragen. Wie gehen Erkrankte mit der Diagnose um, wenn noch fast alles normal ist? Soll man Familie, Bekannte und Mitarbeitende informieren? Oder erzählt man besser nichts, um nicht ausgeschlossen oder mit Mitleid überschüttet zu werden? 


Erst mal verdrängen

Regelmässig treffen sich Menschen mit Demenz bei Alzheimer Schweiz in der Arbeitsgruppe «Impuls Alzheimer». An diesem Nachmittag tauschen sie sich darüber aus, ob und wann sie anderen von ihrer Erkrankung erzählt haben. Sie berichten von verschiedenen Phasen: «Ich kompensiere aktuell die Diagnose durch viel Aktivität. Ich bin mir dabei bewusst, dass ich für gewisse Dinge fünfmal so lange brauche wie früher.»
 

Es braucht Zeit, um eine Diagnose anzunehmen. Auch gegenüber dem eigenen Umfeld bestehen Bedenken, sich mitzuteilen: Ein jung Erkrankter möchte seine Eltern nicht mit seiner Demenzdiagnose belasten und hat sie deshalb noch nicht informiert. Aber er ist einigermassen transparent, wenn Fragen auftauchen: Als im Frühstadium der Krankheit Betroffener erklärt er jeweils, er leide an «Mild Cognitive Impairment» (MCI), einer leicht eingeschränkten Denkleistung, die sich auf sein Gedächtnis auswirke. Das Fremdwort hat eine weniger schwere Bedeutung als die Begriffe «Demenz» und «Alzheimer», die viele Menschen mit dem Endstadium eines schleichenden Gedächtnisverlustes verbinden.


Vertuschen geht nicht

Irgendwann braucht es eine andere Strategie: «Es bringt nichts, die Demenz zu vertuschen, es kommt eh raus», berichtet ein Teilnehmer der Arbeitsgruppe Impuls. Er informierte seine Freunde und Kollegen und machte sie auch darauf aufmerksam, was für ihn hilfreich ist: «Einfach, dass ihr es wisst, es kann sein, dass ich etwas vergesse, nehmt es mir nicht übel, sondern weist mich drauf hin.» Als er seine Berufstätigkeit aufgeben musste, informierte er den Chef, den Teamleiter und die Kollegen in einem Schreiben über seine Alzheimer-Diagnose. Seine Zeilen blieben ohne Reaktion, was ihn sehr enttäuschte. 

 

Den passenden Zeitpunkt finden

«Am Alzheimer-Telefon erleben wir immer wieder, dass Betroffene Angst haben, ihr Umfeld über die Erkrankung zu informieren, weil sie befürchten, ausgegrenzt zu werden», erzählt die Beraterin Agnès Henry. Doch es braucht sehr viel Energie, um die Erkrankung und ihre Folgen zu verbergen, was irgendwann nicht mehr möglich ist. Deshalb empfiehlt sich, das eigene Umfeld über die Diagnose zu informieren. Das räumt Missverständnisse aus und so erhalten Freunde und Kolleginnen die Möglichkeit, die Betroffenen gut zu unterstützen. «Wichtig ist, sich nicht selbst unter Druck zu setzen, sondern dann zu informieren, wenn der Zeitpunkt für einen selbst stimmt», ergänzt die Beraterin.


Catherine Gasser, Zentralpräsidentin von Alzheimer Schweiz, bestätigt: «Seit Jahrzehnten kämpfen wir für eine Entstigmatisierung. Denn Erkrankte und ihre Angehörigen sind zusätzlich belastet, wenn Demenz tabuisiert ist und sie meinen, die Erkrankung verstecken zu müssen, um nicht ausgegrenzt zu werden.»


Es braucht Mut

Über die eigene Erkrankung zu sprechen, benötigt Zeit und Mut, das wissen die Betroffenen aus eigener Erfahrung nur zu gut: «Es braucht jemanden, der hinsteht und über seine Demenz spricht.» Kurz vor diesem Gespräch hatte ein Mitglied der Arbeitsgruppe Impuls deshalb ein Zeitungsinterview gegeben. Aber auch im Kleinen kann man viel bewirken, wenn man etwa im Verein oder bei einem Feierabendbier offen über die Krankheit spricht.


Mehr zur Arbeitsgruppe «Impuls Alzheimer»: alz.ch/impulsalzheimer