Seit Heidi Thöni 2013 die Diagnose Alzheimer erhielt, führt Ehemann Samuel Thöni Tagebuch darüber. Am 18. November 2022 vermerkte er ihren Heimeintritt. «Es war ein Meilenstein und ein schwieriger Tag», sagt der 80-Jährige im Rückblick. Wohlmeinende Menschen hätten ihm schon länger geraten, zu sich selber zu schauen. Doch er fand, er müsse nicht für sich schauen, «sondern für uns». Das sei doch ihr gemeinsames Leben. Früher habe seine Frau für die Familie gesorgt und seine berufliche Karriere im Bauwesen ermöglicht, anerkennt er. Als sie mit 69 Jahren erkrankte, war für ihn klar: Jetzt bin ich für sie da.

Lange ging vieles gut. Auch als die Krankheit fortschritt, nahmen die Thönis weiterhin am Leben teil. Sie gingen reisen, golfen, auswärts essen. Die beiden Söhne und die Tochter unterstützten den Vater bei der Betreuung der Mutter. Einmal wöchentlich besuchte diese eine Tagesstätte für Menschen mit Demenz an ihrem Wohnort Thun. Einen Tag pro Woche kam eine private Betreuerin vorbei. Bis der Ehemann im Sommer 2022 von sich aus zum Schluss kam: Es geht nun nicht mehr zuhause. Was seine Frau in der schweren Phase der Demenz brauche, hätte er bald nicht mehr selber leisten können, sagt er. Das habe ihm auch der Austausch mit einer betreuenden Angehörigen in ähnlicher Situation aufgezeigt.


Probewochen im Ferienbett
 

Samuel Thönis Aufgabe war immer anspruchsvoller geworden. In der letzten Zeit daheim konnte er seine Frau keinen Moment mehr aus den Augen lassen: «Man ist von morgens bis abends auf Draht, dass nichts passiert.» Zur besonderen Herausforderung wurden Situationen, in denen er selber rasch weg musste, zum Beispiel notfallmässig zum Arzt nach einem Wespenstich am späten Abend auf dem Balkon. Nicht mehr viele Leute aus dem Umfeld trauten sich die Verantwortung zu, auch nur kurz einzuspringen. 

Der Entscheid zum Heimeintritt fiel im Dialog mit der Fachärztin, die das Ehepaar seit Jahren begleitet, sowie mit den Kindern. Samuel Thöni bereitete den Umzug seiner Frau auf die ihm eigene Initiative und gründliche Art vor. Er konsultierte Fachleute, holte Informationen ein, schaute sich Institutionen an. Die Familie entschied sich für Oberi Bäch, Haus für demenzkranke Menschen, im Emmental. Zu überzeugen vermochte sie die familiäre Atmosphäre in der besitzergeführten Institution. Vier Probewochen im Ferienbett ergaben, dass Heidi Thöni sich dort wohlfühlte. Schon kurze Zeit später wurde ein Zimmer frei.


Substanz gekostet


Als der Tag da war, begleitete die Tochter die Eltern ins Oberi Bäch. Ein paar Tage vorher hatte Samuel Thöni seiner Frau vom Umzug ins Heim erzählt und ihr erklärt, dass es vor allem auch wegen ihm sei. «Ich glaube, sie hat mich verstanden», sagt er. Am Abend sassen er und die Kinder zusammen. Sie dankten ihm für fast zehn Jahre fürsorgliche Betreuung ihrer Mutter und fanden, er habe sie positiv überrascht. «Sie kannten mich als fordernden Vater», sinniert er, «stark im Beruf engagiert und meist unterwegs.» Mit der Alzheimer-Erkrankung der Mutter und Ehefrau hätten alle dazugelernt und neue Seiten des Lebens kennengelernt.

Heidi Thöni hat sich in der Pflegeinstitution eingelebt. Sie werde sehr gut betreut, lobt der Ehemann. Bei seinen wöchentlichen Besuchen unternehmen sie kurze Ausflüge zu zweit in die nahe Umgebung, gehen wenige Schritte, schauen den Tieren in der Institution zu. Kleine gemeinsame Erlebnisse, die beiden guttun. Auch wenn beim Abschied manchmal eine stille Träne fliesst. Und Samuel Thöni selber? Er musste erst einmal lernen, mit der Umstellung zurechtzukommen. Es fiel ihm schwerer als erwartet. Erst jetzt merkte er, wie viel Substanz ihn die grosse Betreuungsleistung gekostet hatte. Zugleich fehlte ihm plötzlich die Tagesstruktur.


Dankbar für schöne Momente
 

Den Entscheid pro Heimeintritt habe er rational gefällt, so Samuel Thöni. Er sei richtig gewesen und hätte wohl ein halbes Jahr früher erfolgen sollen. Doch hinterher realisierte der Ehemann: «Das Emotionale braucht Zeit.» Inzwischen hat er sich erholt. Zum runden Geburtstag im Frühjahr lud er Freunde ein und dankte ihnen fürs Mittragen. Die Thönis hatten sie mit einem Schreiben über den Heimeintritt informiert und die neue Adresse mitgeteilt. «Wir sind traurig, dass Heidi nicht mehr zuhause leben kann», schrieben sie, «aber auch unendlich dankbar für die vielen schönen Momente, die wir – trotz Alzheimer – in den vergangenen Jahren gemeinsam erleben durften.»