Mein Vater liebte Katzen. Und sie liebten ihn. Wenn unsere Familie früher bei Freunden oder Verwandten eingeladen war und diese einen Stubentiger hatten, dauerte es nicht lange und dieser hatte auf Papas Schoss Platz genommen. Es war schwierig auszumachen, wer diesen Körperkontakt mehr genoss: das schnurrende Fellbündel oder mein tiefenentspannter Vater.

Auch ich mag Katzen, aber meine grosse Liebe gilt Hunden. Wenn ich, Jahre später, meine Eltern mit Jil, einer eleganten Podenco-Hündin aus Portugal, besuchte, hielt sich ihre Freude anfänglich jedoch in Grenzen. Meine Mutter hatte Respekt vor der Hündin, und mein Vater schenkte ihr erst Beachtung, als ich ihm verriet, dass Jil eigentlich eine Katze in einem Hundekörper sei. Denn sie war ausgesprochen unabhängig, stur und launisch.

Kurz nachdem Jil in mein Leben getreten war, erkrankte mein Vater an Demenz. Obwohl der Krankheitsprozess langsam vor sich ging, spürten wir, dass seine wachsende Verwirrtheit nicht nur auf sein hohes Alter zurückzuführen war. Als ich ihn an einem schneereichen Wintertag zu unserem obligaten Einmal-im Monat-Mittagessen traf, sah ich, dass es ernst wurde: Statt in Winterschuhen war er in seinen offenen Hausschuhen mit dem Zug von Winterthur nach Zürich gefahren.

Es dauerte nur wenige Monate, bis mein Vater in ein Heim zog. Meine Mutter hatte nicht mehr die Kraft, ihn zu Hause zu pflegen. Obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt immer häufiger in seine eigene Welt verabschiedete, nahm er diesen Umzug noch bewusst wahr und nahm die Entscheidung, die wir innerhalb der Familie getroffen hatten, vor allem meiner Mutter übel. Meine Schwester und ich besuchten ihn abwechselnd jeden Tag nach der Arbeit. Am Wochenende brachte sie dann jeweils seine Enkelkinder mit, während ich Jil im Schlepptau hatte.

Anfänglich munterten ihn unsere Besuche nicht wirklich auf. Doch nach einer gewissen Zeit spürte ich, dass Jil ihn aufheitern konnte. «Sie mag mich von allen am liebsten», sagte er stolz, als wir gemeinsam beim Kaffee sassen. Dabei grinste er übers ganze Gesicht. Ich drückte seine Hand und freute mich, dass sich wieder einmal sein trockener Humor zeigte. Als hätte sie seine Worte verstanden, legte Jil ihren schönen Kopf auf den Oberschenkel meines Vaters und schaute ihn unverwandt an. Vor Rührung schossen mir die Tränen in die Augen, denn Jil war, wie mein Vater, nicht dafür berühmt, ihre Zuneigung unverblümt zu zeigen.

Auch mein Vater zeigte sich gerührt. Er streichelte ihr Fell und flüsterte kaum hörbar: «Du bist zwar keine Katze, aber ich mag dich trotzdem, vor allem, weil du nicht stinkst wie andere Hunde.»

Von diesem Tag an war Jil Papas neue Freundin. Natürlich stand er nicht «offen» zu dieser Beziehung, Jil war schliesslich nur die zweitbeste Wahl. Aber in Ermangelung einer Katze hatte sie ihren Platz in seinem Herzen erobert. Und wehe, die anderen Heimbewohner wollten sie bei meinen Besuchen etwas zu lange streicheln. Dann wurden sie von Papa ziemlich unhöflich weggescheucht.

Dass Jil bis fast ans Ende seines Lebens an seiner Seite bleiben durfte, war für uns alle ein Geschenk. Heute jagt sie in den ewigen Jagdgründen, und ich bin sicher, mein Vater ist nicht weit von ihr entfernt.