Sie stellt die Teller auf die Sets, genau in die Mitte. Alles in dieser Dreizimmerwohnung hat seinen Platz: die Taschenuhren, die Wandteller aus Holz, die Porzellanpuppen, deren Spitzenunterhosen sie jedes Jahr kurz vor Weihnachten wäscht. Der Platz im Sessel unter der Stehlampe gehört Rolf Dünchem.
«Wir hatten uns das recht schön ausgemalt mit dem Alter», sagt sie. Nun ist sie 69, er 79 – und für sie wird es immer schwieriger, Wohnung und Leben in Ordnung zu halten. «Seit fünf Jahren führen wir eine Art Ehe zu dritt. Rolf, ich und Alzheimer.» Rolf Dünchem hat mitbekommen, dass von ihm die Rede ist. «Ich hab das nicht verstanden», ruft er aus dem Sessel. «Ist auch gut so», sagt sie. Er wippt. «Fuzzi, wann haben wir uns kennengelernt?» «1963. Und seit 25 Jahren sind wir ein Paar. Aber wir sind ja nicht verheiratet.» «Und ich halte es immer noch mit dir aus.» Er trällert. An die hundert Elefantenfiguren stehen im Regal. Südafrika war der Auftakt ihres Lebens zu zweit. Die Erinnerung ist ihr allein geblieben.
Es wird jeden Tag komplizierter. Siebenmal hat sie ihn an diesem Morgen gebeten, endlich die Schuhe anzuziehen; sie hatten einen Termin beim Arzt. Siebenmal hat er «Ist gut« geantwortet und dann mit dem Rasierapparat herumgespielt. Beim achten Mal schraubte sie ihm den Apparat aus der Faust. Herr Dünchem verstand die Eile nicht und sprach sinnlose Floskeln: das müsse erst bewiesen werden. Er kenne kein Pardon.
Die Psychologin, bei der sie manchmal Hilfe sucht, meint, sie dürfe auch motzen. Aber wenn Frau Krimmling wirklich einmal laut wird, kommt Herr Dünchem angelaufen, streichelt ihre Wange und fleht: «Fuzzi, ach Stöpselchen, bitte, bitte nicht.» Sie weiss nicht, wie weit das Siechtum im Gehirn die Seele schon befallen hat. Es scheint so, als hielten Gefühle wie das von Geborgenheit und Vertrautheit dem schleichenden Abbau lange stand. Zwei Jahre lang wussten die Freunde nichts; Scham und Fürsorge, «falsche Fürsorge», sagt sie heute. Irgendwann scherzte einer beim Bier: «Mensch, Rolf, das erzählst du das dritte Mal. Alzheimer, was?» Als er die Wege nicht mehr fand, malte sie Skizzen, zum Zahnarzt, zur Reinigung, zum Optiker. Als er die Zettel falsch herum gehalten und sie ihn im Strassenverkehr gesucht hatte, heulend vor Angst, hängte sie ihm, dem ehemaligen Weltreisenden, Handelsvertreter für Spielwaren, einen Brustbeutel mit Adresse um.
Als die Herdplatte knallrot war und er gedankenverloren daneben stand, die Küchenluft flirrte vor Hitze, dachte Angret Krimmling erstmals an ein Heim. Sekunden nur.
Auszug aus Reportagen, Sonderausgabe Alzheimer Schweiz «Schatz, vergiss mich nicht. Wie Angehörige damit umgehen, wenn ihr Partner wieder zum Kind wird.» Katja Thimm
Die «Reportagen» zeigen Facetten, die eine Demenzerkrankung mit sich bringt. Einfühlsame Porträts von Betroffenen, Angehörigen und Betreuer_innen sowie starke Erzählungen rund um Alzheimer am Arbeitsplatz, im Gefängnis, im Heim; abgerundet mit Experteninterviews.
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