Angela Franchini ist Coiffeuse mit Leib und Seele. In ihrem Salon in der Altstadt von La Chaux-de-Fonds schauen die Leute auch mal rein, wenn sie keinen Termin haben. Die 80-jährige Rose Aubry* war eine langjährige und treue Kundin. Ein gepflegtes Äusseres war ihr wichtig. Einmal pro Woche kam sie zu Angela, alle vier Wochen wurde die Farbe aufgefrischt. Als sie an Demenz erkrankte, nahm Angela die Anzeichen wahr, und als Roses Tochter sie über die Krankheit informierte, war es die Bestätigung dessen, was sie bereits vermutet hatte. «In meinem Metier kommt man mit den Menschen direkt in Kontakt. Das geht über das rein Geschäftliche hinaus. Man berührt die Kundinnen und Kunden, ist ihnen nahe und unterhält sich mit ihnen. Das gefällt mir. Ich kannte Rose seit Längerem und mochte sie sehr. Mir Zeit zu nehmen für sie, war mir wichtig.» 

Angela nahm sich Zeit, wenn Rose fast täglich zu ihr kam, weil sie meinte, sie hätte einen Termin. Und sie holte sie, wenn sie den Termin vergass. Rose hatte ihre Wohnung über dem Salon und auch ihre Tochter wohnte im gleichen Haus. Das machte es einfacher. Hatte sie eine Frage oder gab es etwas zu klären, konnte sie sich an die Tochter wenden. Beispielsweise, als es für Rose schwieriger wurde, mit Bargeld umzugehen. Die Lösung war schnell gefunden: Rose musste für den Coiffeur, den Kaffee am Morgen und die Lebensmittel, die sie einkaufte, nicht mehr bezahlen. Es gab eine Rechnung. Ihre Tochter konnte sicher sein, dass Rose weder Geld verlor noch allzu sorglos damit umging. 

Alles andere als allein
«Wenn sie sich langweilte, kam sie entweder zu mir oder war im Café nebenan. Monika, die Besitzerin, und ich, wir haben uns um sie gesorgt und haben ein Auge auf sie gehabt. Soweit es uns möglich war. Wenn ich sah, dass sie aus dem Haus ging, ohne genau zu wissen, wohin sie wollte, habe ich sie zurückgeholt. Sie hätte sich vermutlich nicht verirrt, und wenn, hätte ihr sicher jemand anderes geholfen. Sie war bekannt in La Chaux-de-Fonds. Das ist der Vorteil einer kleineren Stadt. Man kennt sich.» Rose habe zwar immer gesagt, sie sei «toute seule», ganz alleine. «Aber das stimmte nicht. Sie hatte ihre Tochter, sie hatte Freundinnen, mit denen sie sich traf, und sie hatte uns Nachbarinnen und Nachbarn.» Überall, wo Rose hinging, war jemand, der ein Auge auf sie haben konnte. 

Jeder Mensch ist wichtig
Jeder und jede hat eine Geschichte, hat Sorgen und Ängste, Momente des Glücks und Hoffnungen. Sie nehme die Leute, wie sie sind, sagt Angela Franchini, «tel quel». Und sie nimmt Anteil. Als Italienerin sei ihr ausserdem der Respekt vor älteren Menschen angeboren. Dass sie sich um Rose gesorgt hat, empfindet sie als völlig normal, im menschlichen Sinne. «Auch wenn man gestresst ist, hat man fünf oder zehn Minuten Zeit. Für ein kurzes Gespräch oder für eine kleine Hilfestellung.»
Vor zwei Jahren ist Rose gestorben. Sie wohnte bis zuletzt in ihrer Wohnung. Möglich gemacht hat es unter anderem das Zusammenspiel von engagierten Freunden und Freundinnen, Nachbarn und Nachbarinnen.

* Name geändert